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13. 04. 2011
In der zapotekischen Gemeinde Santiago Xanica im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca kam es in den vergangenen Monaten wieder zu Verletzungen der verfassungsrechtlich garantierten, indigenen Rechte zur kommunalen Selbstbestimmung. Die Folge waren erneut Zusammenstöße unterschiedlicher Gruppen, Einschüchterungsversuche und Morddrohungen. Betroffen davon sind v.a. Mitglieder einer lokalen Gruppe zur Verteidigung der indigenen Rechte (CODEDI-Xanica).
Das Dorf und seine Umgebung nahe des Tourismusgebiets "Bahías de Huatulco" an der Pazifikküste wurden abermals zeitweise militarisiert, u.a. unter Beteiligung von Mitgliedern der mexikanischen Seestreitkräfte, die seit Anfang 2011 in der Gegend operieren. Berichtet wird auch, dass PRI-nahe Personen Morde an unliebsamen Personen in Auftrag gegeben haben sollen. Verschiedene europäische Kollektive haben deshalb in der Gemeinde Santiago Xanica, Distrikt Miahuatlán, die Vorfälle im März dieses Jahres untersucht, Zeugen befragt und kürzlich einen ausführlichen Bericht ihrer Beobachtungsmission auf Englisch und Spanisch vorgelegt.
Hintergrund der aktuellen Beobachtungsmission bilden Vorfälle in der letzten Vollversammlung des Dorfes, in der u.a. ein neuer Bürgermeister bestimmt werden sollte. Am 5. Dezember 2010 versuchten verschiedene DorfbewohnerInnen die legale Wahl von Jaime Castro Hernandez ungültig zu machen, so der Bericht der überwiegend Europäischen BeobachterInnen. Verantwortlich gemacht werden dafür Personen, die den unterlegenen Kandidaten Artémio Gonzalez García an der Macht sehen wollten. Während dem stimmenärmere Artémio Gonzalez García (279 gegen 290 Stimmen) die Partei PRI Beistand leistet, wird Jaime Castro wird von einer breiten Front unterstützt, die sich um das lokalen Komitees zur Verteidigung der indigenen Rechte (CODEDI-Xanica) gebildet hat. Unter anderem verweigerte der scheidende Bürgermeister seine Unterschrift, mit der er die Wahl von Jaime Castro bestätigen muss.#
Damit war eine Voraussetzung nicht erfüllt, um die Wahl durch das Bundesstaatliche Wahlinstitut (IEE) formal zu registrieren: Anstelle des demokratisch gewählten Vertreters wurde dort der unterlegene, PRI-nahe Artemio Gonzalez García als Bürgermeister eingetragen. Die protestierenden BürgerInnen von Xanica sehen darin eine Verletzung ihres demokratischen Rechts im Rahmen des indigenen Systems der „usos y costumbres“. Ihnen zufolge muss die Vollversammlung und deren Entscheidung als oberste Autorität anerkannt werden, auch wenn der scheidende Bürgermeister versucht, das Wahlergebnis durch administrative Machtmittel zu blockieren. Ein Ungültig-Machen der Wahl durch die staatliche Wahlbehörde IEE aufgrund einer Formalität – der verweigerten Unterschrift – widerspricht demnach ihrem Grundrecht auf demokratische Selbstbestimmung. Laut dem Bericht der BeobachterInnen vom 22. März 2011 reiht sich dieser Vorfall in knapp 50 problematische Entscheidungen des IEE ein, in denen ähnliche Ergebnisse kommunaler Versammlungen ebenfalls nicht anerkannt wurden. Über die jünsten Vorfälle und die Beobachtungskommission berichtete auch die oaxakenische Tageszeitung Noticias in Artikeln vom 3.2. und 4.2.2011.
Verantwortlich für die gesamten Geschehnisse der letzten Monate werden Personen gemacht, die der Partei PRI und anderen Machtgruppen nahe stehen. Aktuell suchen BürgerInnen um das Komitee CODEDI herum nach einer friedlichen Lösung des Wahlkonflikts. Damit soll einer weiteren Radikalisierung des Konflikts entgegengewirkt werden. Denkbar wäre demnach eine Beteiligung einiger PRI-nahen Personen in der Dorfregierung. Alternativ könnte ein externer Verwalter eingesetzt werden. Auch eine Abwandlung des Wahl-Procederes könnte eine vorübergehende Lösung darstellen. Konkret wäre die Nutzung von verplombten Urnen und Wahlkabinen unter Aufsicht der Wahlbehörde IEE möglich. Allerdings würden alle drei Optionen die lokal geltenden „usos y costumbres“ verletzen: Sie hätten die Nichtanerkennung der Wahl vom 5. Dezember 2010 zu Folge.
Schon im Jahre 2009 wurden in Santiago Xanica Vorfälle durch eine Kommission der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko untersucht und dokumentiert. Betroffen von teils massiven Menschenrechtsverletzungen waren auch damals Mitglieder des lokalen Komitees zur Verteidigung der indigenen Rechte (CODEDI-Xanica) sowie andere DorfbewohnerInnen. Hintergrund dieser seit Jahren anhaltenden Problematik sind u.a. Pläne zum Ausbau des Tourismus und zur Nutzung natürlicher Ressourcen in der Region sowie die mehrfache Weigerung staatlicher Stellen, die von der Dorfversammlung bestimmten Volksvertreter anzuerkennen. In diesem Zusammenhang ist auch die Inhaftierung eines CODEDI-Mitglieds zu sehen. Seit Januar 2005 sitzt Abraham Ramirez Vasquez als politischer Gefangener in Haft.